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Viola Kunterbunt

 

Impressionen aus Bad Neustadt a.d.Saale – und die Zeit danach…

 

Die Vorgeschichte

Zuerst sollte es nur eine Herzkatheder Untersuchung sein… nun, schon schlimm genug, wenn man sich so vorstellt, dass da ein Kabel durch den Körper bis zum Herzen geschoben wird. Aber mein Herzensgatte ist ja einer von den Mutigen und vor allem einer von den Optimistischen. Das wird schon alles nicht so schlimm werden… das haben schließlich schon so viele, die man kennt, überstanden und die sind alle putzmunter.

Als ich den Anruf bekam, dass er wieder auf dem Zimmer ist und alles überstanden hat, da war ich heilfroh und der Meinung, nun ist schon das Schlimmste überstanden.
Schließlich wird bei so einer Geschichte nicht nur untersucht, sondern es können auch gleich die Leitungsbahnen etwas geweitet werden.

Am späten Nachmittag war ich dann endlich mit Gillian und ihrer Freundin Katharina bei ihm.
Er hatte noch vorher angerufen und gewünscht, wir sollen ihm eine Deutschlandkarte mitbringen. Ohne mir dabei auch nur irgendwas zu denken, hatten wir die dabei und Gerd gab Gil den Auftrag, doch mal nachzusehen, wo Bad Neustadt an der Saale zu finden ist.
Erst so nach und nach kam dann heraus, dass er also in wenigen Tagen dorthin verlegt werden solle, weil eine Bypass Operation nötig wäre.

Ich hatte noch gar nicht ganz realisiert, was jetzt hier abgeht, da kam schon eine Schwester, die uns deutlich erklärte, dass es sich hierbei um eine schwierige OP handeln würde, die sicherlich ca. 8 (in Worten ACHT !) Stunden dauern würde. … ob ich mir denn dort im Ort ein Zimmer nehmen wolle und ob sie das schon mal in die Wege leiten solle.
Bevor ich überhaupt richtig kapiert hatte, was nun Sache ist, wurde über meinen Zeitplan der nächsten Wochen bestimmt.

Warum Bad Neustadt? Warum so weit? In Bad Oeynhausen gibt es doch auch eine hervorragende Herzklinik.
Bad Neustadt liegt im nördlichen Bayern. (So kommt Gerd ja wenigstens doch noch zu einem Aufenthalt in seinem geliebten Bayern in diesem Sommer.)
Es stellte sich dann heraus, dass diese Rhön- Klinik weltweit eine der größten und besten Herzkliniken ist, und der Chefarzt in Herten wohl besonders viel von der Klinik hält, - und wahrscheinlich mit dem Chefarzt schon mal Golf gespielt hat…

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„Liebster, pass gut auf Dich auf, ich brauch Dich doch noch hier.“
„Da mach Dir mal keine Sorgen, ich kann Euch doch noch nicht alleine lassen hier. Wenn ich nicht da bin, wird ja noch nicht mal der Müll richtig sortiert. Da erstickt Ihr doch in dem ganzen Zeug.“

 

Die Anreise

Schon eine Woche später am Samstag sollte es losgehen. Das wurde dann noch mal auf den Montag verschoben, weil es wohl noch kein freies Zimmer gab.
Es war die Rede davon, dass Gerd so gegen 8 Uhr in Herten abgeholt werden solle, so dass ich mir vornahm, ungefähr um die gleiche Zeit zu Hause loszufahren, damit wir in etwa gleichzeitig an der Klinik ankämen.

Gegen 12 Uhr, als ich kurz vor Fulda war, bekam ich einen Anruf von Gerd, dass er noch immer auf seinem Zimmer in Herten sitzt und auf den Fahrer wartet.

Das brachte mir natürlich Zeit und Ruhe in meine Fahrweise. Aber die Vorstellung der Möglichkeit, dass er vielleicht heute gar nicht mehr nachkommen würde, weil irgendwas mit der Krankentransportfirma schief gelaufen wäre, fand ich natürlich gar nicht angenehm.

Und dabei hatte ich mich gerade so an den Kleinigkeiten des alltäglichen Geschehens rundherum erfreut. Dass ich mehrere LKWs der DHL überholte, war mir ein Zeichen, dass die sicher auf einem Betriebsausflug wären und stellte mir vor, wie die ganzen Briefzusteller hinten in den großen Kastenwagen sitzen würden, um nun gruppendynamisch in Bayern Weißbier zu trinken.
Und ich versuchte das schöne Wetter zu genießen, das die umliegende Landschaft in ein leuchtendes Urlaubsgebiet verwandelte.

Nur ein kleines Hin und Her fahren kurz hinter Fulda, als ich auf der Bundesstraße zuerst in die falsche Richtung fuhr, aber dann lief alles glatt, so dass ich nach 4 Stunden und 15 Minuten reiner Fahrzeit an der Klinik ankam.
Zu dem Zeitpunkt war Gerd grade mal eine Stunde unterwegs, wie er mir inzwischen mitgeteilt hatte. (Ein dankendes Hosianna an den Erfinder des Handys!)

Es dauerte noch bis viertel vor fünf, bis Gerd endlich dort ankam.
Aber in der Zwischenzeit hatte ich mich schon mal in meinem Gästezimmer eingerichtet.

 

Die Klinik

Ein Wahnsinnsgebäude!!!!

Beziehungsweise ein Gebäude- Komplex. Oben auf dem Berg ragt es von weitem schon über dem kleinen Ort Bad Neustadt auf.
Parkplätze sind im Prinzip dort Mangelware, aber ich hatte Glück und fand direkt vor dem Haupteingang einen Platz.
Die einzelnen Häuser sind um einen riesigen, lang gezogenen Innenhof gebaut, der wunderschön gestaltet ist. Dieser ist ganzflächig überdacht von einem großzügigen Wellendach aus einer raffinierten Glasdraht- Konstruktion, die den Regen abhält, aber völlig luftdurchlässig ist, so dass man sich trotzdem absolut im Freien fühlt.
Es fließt ein kleiner Bach durch das Gelände und viele Flächen sind mit ständig blühenden Stauden bepflanzt. Momentan strecken zwischen allen anderen Pflanzen hunderte von weißen Tulpen ihre Köpfe zur Sonne.

An den einzelnen Gebäuden gibt es große Glaskuppeln, unter denen sich Aufenthalts- und Ruheräume befinden. Überall Pflanzen, Wasser, Springbrunnen, große weiche Ledersessel und Sofas, und Pflanzen und immer wieder Pflanzen.
Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man sich wie in einem Centerpark fühlen.

   

AOK oder Privat ?

Da ich ja ausreichend Zeit hatte, meldete ich mich schon mal an der Rezeption der Herzklinik und wurde sogleich freundlichst empfangen.
„Ja, auf den Herrn Nickel warten wir noch, aber Sie können gerne die Sachen schon auf sein Zimmer bringen. Station 9, Schwester Katja weiß bescheid.“

Na wunderbar!

Ich also rauf mit meinem Kofferkuli und bei Schwester Katja gemeldet.
Diese begrüßt mich freundlich als die Tochter des erwarteten Herrn Nickel.  (Dies wird natürlich verständlich, wenn man bedenkt, dass die Durchschnittspatienten in dieser Klinik ca. 70 Jahre alt sind.)

Irgendwie empfand ich alles ein wenig bedrückend und eng dort. Der Fahrstuhl sehr klein, der Gang sehr eng und das Zimmer, in das sie mich führte, war auch nicht sehr geräumig.

Man kam zuerst in einen Vorraum, sozusagen den Aufenthaltsraum, in dem ein Fernseher stand und ein Tisch für 4 Personen, an dem gegessen werden konnte. Von diesem Raum ging eine Tür zu der Toilette und Duschraum und zwei Türen zu jeweils einem Zwei-Bett- Zimmer. Auch hier ziemlich eng, aber ausreichend. Mir ging schon durch den Kopf, dass man es hier äußerst geschickt eingerichtet hatte, aus einem Vier- Bett Zimmer zwei Zwei- Bett- Zimmer zu machen.

Es gab auch einen engen Balkon, auf dem Stühle standen. Wenn man allerdings hier saß hatte man nur noch die Mauer der Balkonbrüstung im Blick und den Himmel darüber. Nicht so besonders schön….
In aller Ruhe räumte ich schon mal den Schrank ein und bestückte das kleine Waschbecken in dem Schrank daneben mit Gerds Utensilien. Wobei man nicht zuviel Platz einnehmen durfte, denn es musste für beide Patienten in dem Zimmer reichen.
Ich hatte Blumen und eine Vase mitgebracht, die das Zimmer gleich ein wenig freundlicher aussehen ließ.

 

Viel später, als Gerd dann endlich da war, und die restlichen Dinge, die er aus Herten mitgebracht hatte, auch eingeräumt waren, kam der Anruf von der Rezeption, bei dem noch nach einigen Formalitäten gefragt wurde.
„Ach, Sie haben ja eine Zusatzversicherung…. Da liegen sie ja im völlig falschen Zimmer!“

Alles wieder einpacken… alles auf eine kleine Stationskarre und Umzug!

Quer durchs Haus in einen ganz anderen Trakt. Weite, geräumige Eingangshalle, - mit großen Bronzefiguren geschmückt, - riesige, farbenfrohe Wandteppiche, - ein großer Aufzug hoch in den 5 Stock, -  auf einen breiten Flur -  in eine Suite für 2 Personen, die erstmal nur von Gerd alleine bewohnt wurde. Ein Vorraum mit Kühlschrank und einer gemütlichen Sitzecke, an der gegessen werden kann. Das Zimmer selber in warmem, rötlichem Holz, Parkettboden und ein Nassbereich mit Dusche, 2 Waschbecken und extra Toilettenraum.
Eine großzügige Terrasse gehörte auch noch zu dem Zimmer. Ca 30 qm für jedes Zimmer, bestückt mit gemütlichen Stühlen in einer staudenumpflanzten Umgebung.
Wir waren von der Sozialwohnung in die Königs- Suite umgezogen.

 

Frühstück

Mein Frühstück konnte ich in einem großen Raum gemeinsam mit den anderen Angehörigen hier liegender Patienten und den Patienten der Frankenklinik, eine dazugehörende Reha- Klinik, einnehmen.

Gut gefüllt um diese Tageszeit bot mir der Raum keinen Einzeltisch mehr, sondern ich setzte mich am ersten Morgen zu einer einzelnen älteren Dame, mit der ich nach einer Weile auch ins Gespräch kam.
Eine seltsame Stimmung herrscht dort ja immer, denn alle Anwesenden haben dasselbe Thema. Man kommt sofort in ein Gespräch: Wie geht es Ihrem Mann? Welche Operation hat er denn gehabt?  Bypass oder Klappe?  Wann war es? Wie lange auf der Wachstation? Wie verheilt die Wunde?
Bei vielen dieser Fragen konnte ich ja noch nicht mitreden, bin ja noch ein Neuling in der Herzoperierten- Angehörigen- Welt.

Ich stellte ja noch so dumme Fragen, wie: Kann ich am Tag der OP abends noch zu meinem Mann?
Völlige Entrüstung seitens der älteren Dame: Aber nein, da müssen Sie ihn doch erstmal in Ruhe lassen, (dabei wollte ich doch gar nicht sofort zu ihm ins Bett steigen….)

Also, ihr Ehegatte hätte das auch gar nicht gewünscht, denn das stört doch nur und er ist doch direkt nach der OP noch total müde.

Den nächsten Faux Pas machte ich dann gleich, als ich laut überlegte, ob ich wohl morgens vor der OP noch zu ihm könnte, um Händchen zu halten, bis er in den OP geholt würde.
Die gleiche Entrüstung- die gleichen Argumente – mit dem Zusatz: Man muss ja irgendwann im Leben mal lernen, dass man die wirklich schwierigen Wege ja doch alleine gehen muss.

Vor soviel Abgeklärtheit konnte ich nur noch die Segel streichen, mich freundlich verabschieden und zu meinem Herzensgatten eilen, der sich einfach immer tierisch freut, wenn ich bei ihm bin.

 

Die rote Frau

Für eine Zigarettenpause verlasse ich die Klinik und begebe mich in den Innenhof. Kaum trete ich aus der Tür sehe ich in weiter Entfernung eine Frau, die heftig zu mir rüber winkt.
Meint die mich?  Ich kenne doch hier gar niemanden….
Setze mich auf die nächste Bank und hole meine Lektüre heraus.
Die Frau, leuchtend in einem roten Jogging Anzug, kommt näher und spricht zu dem Mann auf der Nebenbank: „Da habe ich die Frau doch völlig verwechselt….“ Und nun zu mir: „Ich dachte, Sie wären jemand anderes, aber das sind Sie ja gar nicht….“
Sprichts und setzt sich zu mir auf die Bank.

Scheinbar leuchtet mal wieder auf meiner Stirn ein blinkender Schriftzug: 
Erzähl mir, was Dir auf der Seele liegt. Ich hör Dir zu !

Und sie legt los. In kürzester Zeit erfahre ich ihre halbe Lebens- und die ganze Krankheitsgeschichte.
Für mich äußerst interessant ist allerdings die Information, dass es im Eingangsbereich noch ein sehr schönes Café gibt, das ich zwar schon gesehen hatte, aber von dem ich noch nicht wusste, dass man dort rauchen durfte, was man verständlicherweise ansonsten im ganzen Haus nicht darf.
Nachdem die rote Frau mir dann alles über ihre Tanzleidenschaft, ihre Kinder und die Blasmusik erzählt hatte, war mir klar, dass ich ihr in den nächsten Tagen immer wieder über den Weg laufen würde. (…was dann natürlich auch der Fall war.)

 

Der Zeitpunkt der OP

Zuerst hieß es ja noch in Herten: Anreise Samstag – OP Montag.
Dann wurde verschoben: Anreise Montag – OP Dienstag.
Als wir dann dort waren, hieß es: Untersuchungen Dienstag – OP Mittwoch.
Und am Dienstagabend kam dann die Nachricht: Die CD, auf der der Film von der Herzkatheder Untersuchung drauf war, ist noch nicht hier in der Klinik angekommen. Darauf muss natürlich gewartet werden, also OP erst am Donnerstag.

Dies teilte mir die Schwester so nebenbei auf dem Flur mit und ich ging zu Gerd mit den Worten: „Gute Nachrichten, mein Schatz, - wir können uns morgen noch einen schönen Tag machen!“

Und es zeigte sich mal wieder die unverwechselbare positive Lebenseinstellung meines Herzensgatten, der nach einem kurzen Moment der Enttäuschung schnell umschalten konnte und mit mir Pläne machte, was wir denn am nächsten Tag alles anstellen könnten.

Wobei ich natürlich erwähnen muss, dass viel anderes als die unterschiedlichen Fernsehprogramme ja nun nicht zur Verfügung stand, um auszuwählen. Denn der Arzt hatte extra darauf hingewiesen, dass Gerd möglichst auf der Station bleiben soll, da bei dem Zustand seines Herzens die Gefahr eines Infarkts immer gegeben war, zumal ja das Blut inzwischen nicht mehr durch Macumar verdünnt war, sondern auf einem bestimmten Level gehalten werden musste.

Aber ich konnte ihn dann wenigstens mal in den Rollstuhl setzen und durch die Gegend schieben, so dass er wenigstens den wirklich schönen Innenhof zu sehen bekam.

 

Der OP Tag

Der Arzt sowie auch die Schwester auf der Station hatten mir freundlichst angeboten, dass ich selbstverständlich auch am Morgen der Operation zu meinem Herzensgatten ins Zimmer könne, um noch die letzten Stunden Händchen zu halten.

Um kurz nach halb acht war ich bei ihm. Und zum ersten Mal kam ich ins Zimmer, ohne dass er mich fröhlich anstrahlte. Er schlief noch.
Ich merkte sofort, dass da noch Tabletten wirken mussten, denn er rührte sich überhaupt nicht. So konnte ich mich erstmal nur ans Bett setzen und warten.
Es dauerte noch eine halbe Stunde ungefähr, bis er die Augen öffnen konnte und es dauerte noch eine Weile, bis er mir erzählte, dass er eine schlimme Nacht hinter sich hatte.
Gegen drei war er wach geworden, voller Schmerzen in der Brust, voller Angst und Sorge, so dass er die Nachtschwester rief und sie ihm noch eine starke Schlaftablette gab. Deshalb auch jetzt diese totale Benommenheit.

Aber nun ging es ihm besser und wir haben 2 nette Stunden miteinander verbracht, haben uns über wahnsinnig wichtige Dinge unterhalten, an die ich mich schon wenige Stunden später nicht mehr erinnern kann…… und haben beide versucht, nicht daran zu denken, was da jetzt auf ihn zukommt.

In der Zeit kam ein anderer Frischoperierter auf das Zimmer. Er hatte vor 2 Tagen eine Herzklappenoperation gehabt und kam nun frisch aus dem Aufwachraum.
Es ging ihm überhaupt nicht gut. Er stöhnte vor Rückenschmerzen und hatte größte Schwierigkeiten, weil er abhusten wollte und nicht konnte.

Ich flüsterte Gerd zu, dass ich es ja nun nicht so schön fand, so kurz vor der eigenen OP noch mal vorgeführt zu bekommen, wie es denn hinterher so sein könnte. Doch Gerd beruhigte mich in seiner realistischen Art: „Wieso? – Der lebt doch!!!!“

Noch mal duschen, - um viertel vor zehn noch eine Tablette und dann warten aufs Einschlafen.
Um viertel vor elf kamen die Schwestern, die ihn in den OP bringen wollten. Sie wunderten sich, dass er noch nicht schlief. Gerds Reaktion, mit bleischwerer Zunge: „Ja, wenn Sie mir eine Ration für ein Meerschweinchen geben, dann wird das auch nix.“

  

Das Warten

Nun hatte ich also Stunden Zeit. Andere Frauen hatten mir schon Tipps gegeben, was man alles in der langen Zeit machen könne. Schwimmen gehen, Sauna, Wanderungen, die Stadt ansehen und… und…und…

Ich traute mich aber nicht aus dem Bannkreis der Klinik heraus und setzte mich in das Café an der Klinik, bestellte einen Kaffee nach dem anderen, rauchte ungezählte Zigaretten und versuchte mich abzulenken, indem ich begann, diese Impressionen hier aufzuschreiben.

Gegen 14 Uhr ging ich auf mein Zimmer, weil ich so langsam nicht mehr in diesen unbequemen Stühlen dort sitzen konnte.

Die rote Frau war zwischendurch natürlich auch wieder aufgetaucht. Aber diesmal, so gar nicht bereit, mir wieder alles anzuhören, senkte ich den Blick beharrlich auf meinen Laptop und sie hatte schnell verstanden. Nur ein paar Sätze über ihren Umzug in die Reha- Klinik und schon ließ sie mich in Ruhe.

Auf meinem Zimmer schaltete ich den Fernseher ein. Dann ist man nicht so alleine im Raum….

Um viertel nach drei endlich rief der Chefarzt mich an. Es wäre alles gut verlaufen, Momentan würde noch der Brustkorb zugenäht. Keine besonderen Vorkommnisse. Er müsse jetzt von dem Beatmungsgerät abtrainiert werden.

Mehr Information konnte ich zu dem Zeitpunkt wohl auch nicht erwarten. Ich könne aber abends noch mal anrufen und nachfragen, wie es ihm geht.
Immer noch ein ungutes Gefühl, denn inzwischen hatte ich ja schon einige Horrorgeschichten gesammelt, was trotzdem noch so alles schief gehen kann.

Der Frühstücksraum mit seinem ständig wechselnden Szenario ist ein besonders geeigneter Ort, um über alle Eventualitäten aufgeklärt zu werden.
Da gab es den Patienten, der am Tag nach der OP einen Schlaganfall bekommen hatte und nun schon seit 4 Wochen im Koma auf der Intensivstation lag. Oder denjenigen, bei dem schon alles ganz gut im Heilungsprozess war, aber dann plötzlich einen Umschwung erlebte und nun klafft über den halben Brustkorb eine 10 cm breite, offene Wunde.  usw. usw.
Wieso müssen die Frauen dieser Patienten eigentlich immer ausgerechnet an meinem Frühstückstisch sitzen?  Blinkt da wieder der Schriftzug auf meiner Stirn?

Um diesen Phantasien zu entfliehen zog ich also mit griffbereitem Handy Richtung Bad Neustadt.

Ich wollte ein Internet Café suchen. Inzwischen hatte ich zwar entdeckt, dass es auch in der Klinik ein Terminal für Patienten und Besucher gibt, aber daran konnte man nur stehen, - und überhaupt gab es da weder Kaffee noch Aschenbecher.

Doch Bad Neustadt ist da in keiner Weise moderner. Laut Auskunft in der Information gibt es im ganzen Ort nur im Café Wiener die Möglichkeit ins Internet zu gehen. Auch nur an einem einzelnen Terminal, aber immerhin schon mal mit einem Stehstuhl, - und die anderen Annehmlichkeiten waren auch griffbereit.

So konnte ich dort dann in aller Ruhe meine E-Mails abfragen und beantworten, und mich danach mit eigenem Laptop niederlassen und schreiben.

Da wirkte ich doch gleich wieder wie die coole Frau von Welt, die geschäftsmäßig online ist und per Thinkpad mit der Welt kommuniziert.

Doch irgendwie bekam mein Status in dem Lokal dann doch einen Dämpfer, als ich vor lauter Gedankenwirrwarr im Kopf das Wichtigste vergaß und einfach so den Raum verlassen wollte. „Hallo! Sie haben noch nicht gezahlt!!!“ – Jesses, wie peinlich.…

Gegen neun Uhr abends rief ich dann wieder auf der Intensivstation an und bekam die Nachricht, dass Gerd zwischendurch schon mal wach war, und dass es ihm den Umständen entsprechend gut ginge.  Göttin sei Dank !

Auch wenn ja nun das Akuteste überstanden war, schwebten mir noch genügend Horrorgeschichten und eigene Phantasien durch den Kopf, um mir die Nacht schwierig zu gestalten.

Ich weiß nicht genau, wie viel, bzw. wie wenig in der Nacht wirklich geschlafen habe, aber während der ganzen Stunden lief der Fernseher, weil ich es einfach nicht fertig brachte, ihn auszuschalten. Es ist so still im Raum, wenn der plötzlich dunkel ist.
Um kurz nach 5 Uhr morgens war ich dann endgültig soweit, dass ich nicht länger hier rum liegen wollte. Also anziehen und raus in den erwachenden Morgen. Raus aus dem Gästehaus, raus aus dem Klinikgelände, rein in den Wald, der das ganze Territorium umgibt, - und erstmal frische, grüne Luft in die Lungen.

 

Der Anruf

Eine große Lichtung, - mittendrin eine Bank, - ich setzte mich und wollte von diesem schönen Platz aus auf der Intensivstation anrufen, um zu erfahren, wie es meinem Herzensgatten geht.
Wie hatte er wohl die Nacht überstanden?  Was würde mir nun wohl mitgeteilt?
Es war kurz nach 6 Uhr morgens und ich wollte nicht mehr länger warten.
„Guten morgen, ich würde gerne wissen, wie mein Mann Gerhard Nickel denn die Nacht überstanden hat.“-
„Ja,“ sagt mir eine männliche Stimme, „die Nacht ist ohne besondere Vorkommnisse verlaufen.“ –
„Und wie geht es ihm jetzt?“ – „Da sollten Sie doch am besten mit ihm selber telefonieren.“ – Will der mich auf den Arm nehmen??? „Und wie soll das gehen?“ – „Na ja,“ – und ich höre sein Grinsen in der Stimme, - „indem ich ihm nun den Hörer gebe.“
Wie bitte? Ich bin völlig überrascht. Kann er denn wirklich schon sprechen und den Hörer halten ??????

Und im nächsten Moment höre ich ein fast unverständlich geröcheltes: „Hallo.  Mir geht es gut.“ – Das war dann so ungefähr der gleiche Moment, in dem mir die Tränen in die Augen schossen und ich so unendlich erleichtert war, dass ich kaum weiter sprechen konnte.

Er konnte mir berichten, dass der Schlauch aus der Nase schon raus war, und gerade das, nämlich das Absetzen der künstlichen Beatmung, hatte man uns vorher als so risikoreich beschrieben, speziell bei Gerds Konstitution.
Als ich später gegen 11 Uhr noch einmal auf der Intensivstation anrief, war er schon auf die Wachstation verlegt, was für mich bedeutete, dass ich sofort zu ihm konnte. Endlich!

 

Bachblüten

Schon vor 14 Tagen, als Gerd in Herten im Krankenhaus war und dort die Herzkatheder- Untersuchung hatte, überraschte mich abends nach langer Zeit mal wieder ein regelrechter Panikanfall, bei den Überlegungen, wie es denn wohl weitergehen soll, - was ist, wenn dem Gerd was passiert, - wenn er nicht wiederkommt, -  wenn… wenn…. wenn….

Dabei hatte ich dann das Gefühl, dass mein Herz schneller schlägt, mein Blutdruck steigt und ich selber wahrscheinlich grade kurz vorm Infarkt oder so was stehe….

Da multipliziert sich die Angst mit sich selber und ich hatte ganz schön daran zu knacken, mich von diesem Level wieder runterzuholen.

Schon an dem Abend hatte ich das Gefühl, dass es gut wäre, für solche Fälle mal wieder irgendwas an Tropfen oder Tabletten dagegen im Hause zu haben. Ich vergaß es aber dann wieder.

Erst auf der Fahrt, alleine im Auto, Richtung Bad Neustadt, brachte mir nur schon der Gedanke, dass ich da bald abends alleine auf meinem Zimmer sitzen würde und auf Nachricht warten müsse, die Angst zurück. Angst vor der Angst sozusagen.

Aber ich wusste, dass ich unbedingt dagegen vorbeugen musste, und erinnerte mich an die Notfalltropfen der Bachblüten.
Die hatte ich vor Jahren schon mal eingenommen und ich erinnerte mich, dass die mir in entscheidenden Momenten auch geholfen hatten.

Hinter Fulda, in Bad Gersfeld, entdeckte ich an der Hauptkreuzung eine große Apotheke.
Die hatten auch vorrätig, was ich brauchte.

„Reichen 10 ml oder gleich 20 ml. ???“  - Natürlich gleich die größere! Man weiß ja nie, was da noch so auf mich zukommt.

Bis jetzt habe ich nicht mal 3 ml verbraucht, weil man ja wirklich nur 4-6 Tropfen nehmen muss. Und selbst wenn ich die in den letzten Tagen 5x am Tag genommen habe, dann ist das in dem Fläschchen natürlich nur ein ganz kleines bisschen…

Sobald ich merkte, dass mich dieses verflixte Gefühl wieder heimsuchte, habe ich mir diese Tropfen gegeben und dann das Gefühl gehabt, gegen alle Panik abgeschottet zu sein. Ob es wirklich die Tropfen selber sind, die da wirken, oder nur einfach der Glaube daran ????
Ich weiß es nicht und eigentlich ist es mir auch völlig egal. Wenn nur diese Panik ausbleibt, dann ist es ja gut.

 

Die Wachstation

Sechs Mann in einem Raum.
Gerd – der zweite von links.

Jesses, was bin ich froh, ihn hier so liegen zu sehen. Er strahlt zwar noch nicht ganz so wie gewohnt, aber er freut sich sichtlich, dass ich komme.

So viel Armaturen rund um das Bett, - ich muss mir erstmal einen Weg bahnen, um ihm näher zu sein. – Kann ihn nicht mal auf den Mund küssen, weil das Bett zu hoch und zu viel Schläuche im Weg sind.
Er sieht so verletzt und krank aus, - die Stimme ist ganz rau und das Sprechen geht noch nicht so gut.
Aber die Augen sind klar und wir sind heilfroh, dass er die OP und die erste Nacht hier überstanden hat.

In den anderen Betten Männer, die auch am Vortag die OP hatten und die teilweise ziemlich verwirrt sind.
Einer meint, er wäre in Italien in Urlaub und ein anderer will sofort zum Geburtstag eines Freundes. Immer wieder versucht er sich aufzusetzen und will sich von den Schläuchen befreien. Und immer wieder muss er vom Pfleger zurückgelegt werden, damit ihm nichts passiert.

Gerd bekommt einen Brei zu essen. Der Pfleger Thomas stellt ihm das Schüsselchen vor ihn auf den Nachttisch. Und ich füttere meinen Herzensgatten.
„Aber das kann er doch schon alleine!“ meint Thomas.
Das mag ja sein, aber ich bin doch heilfroh, dass ich hier was für ihn tun kann und es besteht sicherlich keine Gefahr, dass ich ihn damit zur Unselbstständigkeit erziehe und er ab jetzt nur noch gefüttert werden möchte.

Eine Stunde bleibe ich bei ihm, immer wieder die heiße Stirn kühlend, - er hat ein wenig Fieber, - und verspreche ihm, in der Nachmittags- Besuchzeit wiederzukommen.

 Und dann passiert mir das Unglaubliche: Ich verschlafe die Zeit!

Wieder in meinem Zimmer hatte ich mich nur kurz aufs Bett legen wollen. Doch da die Nacht vorher auch für mich nicht mit erholsamem Schlaf gesegnet war, bin ich fest eingeschlafen.
Ich beeile mich und stehe vor der geschlossenen Wachstation. Keiner macht auf.
Also wieder raus aus dem Gebäude und von draußen über Handy auf der Station angerufen.

Nachdem ich mein Problem erklärt habe, ist es dann kein Problem mehr.
Und wieder kann ich über eine Stunde bei ihm sitzen, ihn mit Tee versorgen und ihm immer wieder die Stirn kühlen.

Ein Mann im Bett gegenüber versucht wieder, aufzustehen und lässt sich nun auch von dem Pfleger nicht mehr beruhigen. Er meint, dass er unbedingt zur Toilette gehen muss.
Der Pfleger weiß sich nicht anders zu helfen, als ihn am Bett festzuschnallen.

Wir sind beide ziemlich betroffen und Gerd meint: „Vorhin war seine Frau noch da und hat sich so gefreut, dass er die OP gut überstanden hat. – Wenn die wüsste, dass er sich jetzt so quälen muss...“
Doch Gerd geht es immer ein klein wenig besser. Und wir haben die Hoffnung, dass er schon am nächsten Tag wieder auf sein normales Zimmer kommt.

 

Tag 3 nach der OP

Noch beim Frühstück werde ich von einer anderen Frau mitleidig angelächelt, weil ich geäußert habe, dass Gerd doch vielleicht schon heute Vormittag auf die normale Station kommen könnte, - und dann um 10 Uhr (eine Stunde vor der regulären Besuchszeit) bekomme ich einen Anruf von einer Schwester der Wachstation, dass ich doch schon mal kommen solle, mein Mann möchte mich gerne sehen und er würde auch gleich schon auf die normale Station verlegt.

Zu dem Zeitpunkt hatte ich mich mit Laptop im Café eingerichtet und wollte gerade meinen Milchkaffee bestellen, - aber der kann warten. Einpacken und sofort zur Wachstation.

Gerd schien genervt von der unangenehmen Nacht, die er hinter sich hatte. „Die haben mich schon um halb drei geweckt !!!!“  Ein Vorwurf, den er mir in den nächsten Tagen immer wieder erzählte. Da er ansonsten ein geduldiger und nicht so leicht aus der Fassung zu bringender Patient ist, muss ihn das schon sehr mitgenommen haben.

Die ganze Nacht muss wohl sehr unruhig gewesen sein und ich konnte ihn nur damit trösten, dass er ja schließlich auf der Wachstation ist und nicht auf der Schlafstation…..

Eine Schwester versorgt einen Kranken im Nachbarbett. Gerd hört sie und es ist ihm ganz wichtig, mir zu sagen: „Das ist aber auch eine ganz liebe…. die ist total lieb…. die sind alle hier ganz lieb…“
Irgendwie ist er zwischendurch noch ganz weit weg.

Schon bald kam die Schwester und brachte das normale Bett mit.
Er musste aufstehen und selber die paar Schritte zu seinem neuen Lager gehen.
Und dann endlich wieder unsere Einzelsuite !!!

 

Meine Organisationsprobleme

Gerd verpasste nun in dieser Zeit seiner Krankheit ja nicht nur das Herrichten, Säubern und Bepflanzen unserer Terrasse, sondern auch noch 2 lang geplante Familienfeiern. In der Woche nach der OP stand eine Kommunion an und am Sonntag nun ein Fest, das mir besonders am Herzen lag. Meine Schwester wurde 50. Und da mein Schwager erst vor kurzem auch denselben runden Geburtstag hatte, wollten die beiden nun groß ihren 100. Geburtstag feiern.

Wäre die OP am Dienstag gewesen, so hätte es ja gerade noch passen können, dass ich Samstagabend nach Hause fahren würde, aber nun die OP erst am Donnerstag, - also da waren doch gerade der Samstag und Sonntag die Tage, in der Gerd am ehesten meine Hilfe brauchte.

So blieb ich dann in Bad Neustadt und kümmerte mich lieber um meinen Herzensgatten, denn dieser Ausdruck, den ich so gerne wähle, wenn ich von ihm spreche, ist ja nicht nur wegen des witzigen Klangs so gewählt. Schließlich ist er es, der meinem Herzen am meisten verbunden ist.

Aber so ging es die ganze Woche erstmal in meinem Kopf hin und her, wie ich das denn bloß am besten einrichten könnte. Und fast stündlich fasste ich neue Entschlüsse. Schließlich musste ich ja auch im Hinterkopf behalten, dass ich auch mal wieder in die Werkkiste müsste, um dort meinen Aufgaben nachzugehen. Glücklicherweise hatten mir aber meine Kolleginnen alle Freiräume gelassen, zu entscheiden, wie lange ich Urlaub brauchte. Sie gaben mir vollständig die Sicherheit, dass sie mir in dieser Situation den Rücken frei halten.

Meine anderen Sorgen gingen noch zusätzlich in die Richtung, wie es Gillian wohl gehen würde, - so ganz alleine zu Hause und mit ihrer eigenen Angst um ihren geliebten Papa.

Meine dunklen Phantasien gaukelten mir die bösesten Geschichten vor: Wie sollte es ihr gehen, wenn ich ihr am Abend der OP hätte sagen müssen, wenn es ihm vielleicht doch nicht so ganz besonders gut gehen würde, - von Schlimmerem mal ganz zu schweigen.

Aber auch hier hatte sich eine wunderbare Möglichkeit gefunden. Eine Freundin der Familie bot sich an, jeden Abend von Neuss zu uns zu kommen, damit Gil wenigstens die Abende nicht so alleine in der Wohnung verbringen musste.
Helia meinte zwar später, dass sie doch sicher keine große Hilfe gewesen sein könne, da sie doch immer abends so früh eingeschlafen wäre und Gil sie auch noch wecken musste, und sie hätte doch nur mal wieder bei uns den Kühlschrank leer gemacht, - aber welch ein Trugschluss!
Gillian hat sich viel sicherer gefühlt mit ihrer lieben Gesellschaft im Haus und ich war beruhigt, weil ich Gil in bester Obhut wusste.

 

Der Besuch

Bei meinen vielfältigen Überlegungen kam ich dann irgendwann auch darauf, dass es doch für Gerd eine wunderschöne Freude sein würde, wenn er seine Tochter zu Besuch hätte. Und schon bastelte ich an dem Plan.
Gillian müsste sich den Montag in der Schule frei nehmen, (kein Problem!) - könnte am Sonntag zuerst noch bei der großen Familienfeier dabei sein und nachmittags dann mit dem Zug nach Bad Neustadt kommen. Am Montag würden wir dann beide zusammen wieder mit dem Auto zurück fahren.
Gillian war sofort Feuer und Flamme, ich suchte aus dem Internet die richtige Verbindung heraus, Gil besorgte die Fahrkarten und wir freuten uns beide darauf, uns endlich wieder zu sehen und dem Dritten im Bunde diese Überraschung bereiten zu können.
Wobei mir aber dann auch schnell klar wurde, dass man einen Herzkranken besser vielleicht nicht mit so was überrumpeln sollte….
Große Freude – und dann Intensivstation….. nein, das wollten wir dann doch nicht.

Also erzählte ich ihm davon, was wir vorhatten. So konnte er sich wenigstens auch schon die ganze Zeit darauf freuen.
Abends um 22 Uhr sollte ihr Zug in Bad Neustadt ankommen.
Gegen 21 Uhr rief ich sie per Handy an und erfuhr, dass der erste Zug dermaßen Verspätung gehabt hatte, so dass sie den Anschluss in Würzburg verpasst hätte. Nun käme sie gegen 22 Uhr in Schweinfurt an und müsste dann bis kurz vor 11 auf einen Bus warten, der sie nach Bad Neustadt bringen könne.

Aber da Schweinfurt nur ca. 40 km entfernt lag, setzte ich mich ins Auto und holte sie dort ab.
So konnte ich ihr dann das wunderschön erleuchtete Klinikgebäude in Nachtstimmung zeigen und sie bezweifelte auch, ob es sich hier um eine Klinik, oder nicht vielleicht doch um ein Erholungszentrum handelte.

 

Montag

Gil und ich räumten morgens zuerst unsere Zimmer und gingen kurz zum Frühstück, bevor wir dann endlich bei Gerd im Zimmer standen.
Familie wieder komplett. – Göttin sei Dank !
Gerade in der letzten Zeit hatten wir wieder gemeinsam festgestellt, dass wir eine starke Einheit waren. Dieses Gefühl von Verbundenheit war mit einem Mal wieder ganz präsent Und das bezieht sich eben doch nicht nur auf die sinnvolle Verteilung der Hausarbeit.

Das Wetter war wunderschön, so dass wir auch eine ganze Weile auf der Terrasse sitzen konnten.
Scheinbar war Gerds Wahrnehmung noch etwas getrübt. „Gehören die gelben Dächer dahinten auch noch zur Klinik?“ – „Aber das sind doch Rapsfelder!“ – „Ja, wirklich… - ach so !“   - Und nach 10 Minuten: „Sind das nicht vielleicht doch Dächer????“

 

Farina

Unsere kleine Hündin litt unter dieser seltsamen Situation wohl ganz besonders. Schließlich konnte man ihr ja auch so gar nichts erklären.
Gerd ist nun mal ihre engste Bezugsperson. Der Hundepsychologe würde sagen, dass er ihr höchsteigener Besitz ist und so konnte sie nun überhaupt nicht einordnen, wo ihr Gerd abgeblieben war, - wieso er denn gar nicht wiederkommt.

Sie stellte vom ersten Tag an das normale Fressen ein und wurde nur noch mit Leckerlis ernährt, weil es das einzige war, zu dem sie sich überreden ließ.
Im Laufe der Zeit zeigte sie auch seltsame Verhaltens- Änderungen: Sie begann den kleinen Teppich vor Gerds Bett auseinander zu rupfen, sie benahm sich immer wilder und zwischendurch verkroch sie sich in einem Körbchen und knurrte uns sogar an, wenn wir sie daraus hervor locken wollten.
Sie litt.

Unsere Heimfahrt

Montag, am späten Nachmittag verließen Gillian und ich das Klinikgelände, um wieder nach Hause zu fahren.

Unsere Freundin Helia, die sich in der Woche vorher so liebevoll um Gillian gekümmert hatte, war nun seit Freitag wieder bei sich zu Hause und hatte von unserer kurzfristigen Planung mit Gillians Neustadt- Besuch gar nichts mitbekommen. Am Montag rief sie nun vormittags bei uns an, um nachzufragen, wie es so geht. Gil war natürlich nicht zu Hause und ausgerechnet in diesem Moment war ein Freund von uns in der Wohnung, weil er sich angeboten hatte, Farina mal Gassi zu führen. So meldete er sich am Telefon und gab Auskunft, dass Gillian gestern mit dem Zug nach Neustadt gefahren wäre. Nein, wie es dem Gerd ginge, das wüsste er nicht so genau und warum Gil dahin gefahren wäre, nein, das wüsste er auch nicht so wirklich….
Und wir waren natürlich auch nicht über Handy zu erreichen, das wir in der Klinik natürlich ausgeschaltet hatten.  Sorry, Helia, für diesen Schreck, den wir Dir da verursacht haben !

 

Die letzten Tage in Neustadt

Gerd musste noch eine Woche alleine dort verbringen, aber mit jedem Tag ging es ihm ein klein wenig besser, und in den letzten Tagen konnte er endlich auch ein wenig genießen, was dieser Gebäudekomplex ihm zu bieten hatte.

Zum Beispiel dieser große Ruheraum, in dem er sich in einem der zahlreichen Ledersessel niederlassen konnte, und dort die Vögelchen in den schön gestalteten Volieren beobachten konnte. Diese Klinik bot einfach insgesamt eine Atmosphäre, in der man sich wohl fühlen  und die man auch genießen konnte.

Gerd hätte nun die Möglichkeit gehabt, auch dort seinen Reha- Aufenthalt in diesem Komplex zu absolvieren, aber das wollte er nun so gar nicht. Er wollte nach Hause und wenn das nicht möglich war, dann aber wenigstens so nah nach Hause, so dass er auch mal Besuch bekommen könne. Also war die nächste Station wieder die Klinik in Herten.

 

Herten

Montags war er wieder da. – Noch nicht so ganz zu Hause, aber doch wenigstens wieder in besuchbarer Nähe.

Am Abend fuhren Gil und ich dorthin und schon vom Klinikhof sahen wir ihn oben am Fenster stehen, wo er uns winkend erwartete.
4. Etage, - rauf mit dem Aufzug, - und ab in sein Zimmer. Schon als er uns nicht oben am Aufzug erwartete, schwante uns, dass er wohl mit einem der anderen Aufzüge an uns vorbei nach unten gefahren sein musste.
Kein Gerd auf dem Zimmer, - tatsächlich, -  er wollte uns entgegenkommen und wir hatten uns verfehlt.
Erst als wir zurück zum Aufzug kamen, konnten wir uns endlich in die Arme nehmen, da ihm unten dann auch das Missverständnis aufgefallen war….
Und da stand er nun vor mir… dieser große starke Mann… und wirkte so durchscheinend, - so angegriffen, - so verletzlich… - Die Umarmung, nur ganz zart und vorsichtig, - nur nicht zu feste drücken, - aufpassen, da sind überall Narben, - am Arm, am Bein, auf der Brust und auf der Seele….

 

Mein Geburtstag

Mittwoch hatte ich Geburtstag und mein schönstes Geschenk saß vor mir.

Vorher hatte ich schon gewitzelt: „Denk bloß nicht, nur weil Du krank bist, bräuchtest Du mir kein ordentliches Geschenk zu machen. Ich erwarte, dass Du mir was richtig Schönes aussuchst!“ – Und tatsächlich bekam ich zwei Taschenbücher, die er eigenhändig in der Krankenhausbücherei erstanden hatte.

Geburtstagsfeier in der Krankenhauskantine. So wie schon vor drei Wochen auf Muttertag genossen wir wieder hier in dieser etwas seltsamen Umgebung, dass wir zusammen waren und aßen den Krankenhaus- Kuchen mit einer Freude, als wären wir bei Café Kranzler in Berlin. Wir überlegten schon, ob wir nicht ab sofort alle Familienfeiern hier im Hertener Krankenhaus verleben wollten. Man gewöhnt sich ja langsam dran….
So war es auch gar kein Problem mehr, dass wir am nächsten Tag auf Gerds Zimmer mit Buttermilch auf unseren Hochzeitstag anstießen… 26 Jahre, - ein Grund zum Feiern.

 

 

Reha

Nach eineinhalb Wochen wurde er in Herten entlassen und kam nach Hause.
Er hatte so gehofft, er könne die anschließende Reha- Maßnahme ambulant in der gleichen Klinik machen, aber leider war das kein Vertragskrankenhaus der LVA, so dass das leider nicht möglich war. Gerd war völlig geknickt, - er wollte nicht wieder von zu Hause weg.

Fünf Tage hat man ihm in seinem eigenen Bett gegönnt, dann ging es wieder los nach Ennepe. Die Klinik ist nicht besonders schön, aber wenigstens nicht ganz so weit von zu Hause weg.
Sein Freund Dieter brachte ihn mittwochs morgens dorthin. Ich selber hätte eigentlich arbeiten müssen, aber ausgerechnet an dem Tag lag ich mit Fieber zu Hause und war völlig aus dem Verkehr gezogen.
Schon am selben Abend sagte er mir am Telefon, dass es ihm nicht so gut gefallen würde, aber als ich ihn am Donnerstag hörte, war ich völlig beunruhigt. Das Heimweh fraß ihn fast auf und er konnte sich kaum vorstellen, wie er das noch so lange Zeit dort aushalten solle.
Er klang so verzweifelt, dass ich am liebsten sofort zu ihm gefahren wäre, - nur die Gewissheit, dass ihn sein Freund noch am selben Abend besuchen würde, hielt mich davon ab, mich doch noch mit Fieber ans Steuer zu setzen.
Zum Wochenende fasste er dann den Entschluss, dass er unbedingt sein Auto dort haben wollte, damit er nicht ganz so eingeschlossen dort wäre.
Also holte ich ihn am Sonntag nach Hause und nachmittags fuhr er mit seinem Wagen wieder zurück.  Nicht ohne seine Angel samt Zubehör eingepackt zu haben, so dass er in der nächsten Woche auch mal mit seinem Freund gemeinsam die Forellen zu erschrecken.

Ab nun ging es ihm besser und er konnte sich endlich mit seiner Situation abfinden.
Mit Massagen, Hocker- Gruppe, Ernährungsberatung, Kochkursen und diversen Untersuchungen verging die Zeit zwar nicht wie im Fluge, aber es war erträglich.
Und am Wochenende kam er zu uns nach Hause und genoss es, seine Vögelchen zu versorgen, das Pferd zu besuchen und seine Schafe zu beobachten.

Nach 3 Wochen wurde die stationäre Reha in eine ambulante umgewandelt, so dass er auch die Abende wieder bei mir war.

„Endlich muss ich nicht mehr zurück in diese JVA !“

 

Endlich ist er wieder da! Endlich gibt es wieder geregeltes und liebevoll zubereitetes Essen und nicht nur Tütensuppen und Lasagne von Aldi oder unsere besondere Spezialität: Erbsen mit Kartoffelpü.
Endlich kann ich wieder nach Hause kommen und mich auf ein sonniges Gesicht freuen, das mich anstrahlt und mir sagt: „Wie schön, dass Du da bist!“

Und endlich wird der Müll wieder richtig sortiert !